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Gymnadenia conopsea oder G cono var. densiflora

Markus Büschlen 06.11.2023

Auf der Endorfallmi begegnete ich am 15. Juli 2023 dieser “vielblütigen” Mückenhändelwurz, auf “inaturalist.org” wurde sie als G densiflora bestimmt? Gibt es konkrete Merkmale für die Unterscheidung?

Leider fotografierte ich nur die Blüten,

15.07.2023 (Markus Büschlen)

6 Antworten

Hallo Markus,

ich bin kein Spezialist, aber Florian Schiestl an der UZH hat mal etwas an der Gruppe gearbeitet. Er ist soweit ich weiss nicht auf OpenFlora, deshalb hier ohne Details woran ich mich erinnere. Das beste Unterscheidungsmerkmal ist wohl der Duft, die beiden haben unterschiedliche Bestäuber, aber ich weiss leider nicht mehr, wie er die Düfte beschrieben hat. Seiner Ansicht nach sind es verschiedene Arten, aber innerhalb von conopsea gibt es zudem verschiedene Ploidiestufen, so dass es ziemlich kompliziert und noch ungeklärt ist. Wenn du mehr wissen wolltest, müsstest du ihn direkt anschreiben. Weiss nicht, ob das hier sehr hilfreich ist …

Michael

Keine einfache Geschichte!
Oder kurz zusammengefasst: «es ist schwierig» :-)

Etwas ausführlicher: Genetisch unterscheiden sich die beiden Taxa, Gymnadenia conopsea und G. densiflora, klar (cf. Stark et al. 2011) – aber im Feld sind die Unterschiede nicht immer einfach auszumachen; es geht bei der Unterscheidung um die Grösse und Anzahl Blüten, um ihren Duft (G. densiflora sollte deutlich und angenehm, u.a. nach Gewürznelken duften), die Anzahl Blätter und den Blütezeitpunkt (cf. Riechelmann 2019).

Der taxonomische Wert der beiden Taxa wird sehr unterschiedlich gehandhabt – in der aktuellen Checkliste 2017 werden unter dem Taxon Gymnadenia conopsea zwei Varietäten aufgeführt – var. conopsea und var. densiflora, während z.B. auf POWO (Plants of the World online) die beiden Taxa als getrennte Arten aufgelistet sind.
G. densiflorahttps://powo.science.kew.org/taxon/urn:lsid:ipni.org:names:636518-1
G. conopseahttps://powo.science.kew.org/taxon/urn:lsid:ipni.org:names:636509-1 

Ein guter Vergleich der Taxa mit Fotos und einem kurzen, prägnanten Text findet sich z.B. auf florealpes.com:
https://www.florealpes.com/comparaison.php?compar_code_1=gymnadeniadensi&compar_code_2=orchismoustique&nouveau=1&PHPSESSID=ohm2977vorkq1gh5rphdc21bb7

Ausführliche Infos finden sich auch im Wikipedia-Artikel zu G. densiflora: https://de.wikipedia.org/wiki/Dichtbl%C3%BCtige_H%C3%A4ndelwurz




Weiterführende Literatur

Meekers, T. et al. 2012: Biological Flora of the British Isles: Gymnadenia conopsea s.l. Journal of Ecology, 100: 1269–1288
https://besjournals.onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1111/j.1365-2745.2012.02006.x

Riechelmann, A. 2019: Die Dichtblütige Mücken-Händelwurz [Gymnadenia densiflora (WAHLENB.) A. DIETR.] – eine verkannte Schönheit der Orchideenflora der Nördlichen Frankenalb. Bericht Naturf. Ges. Bamberg, 33–40
https://www.zobodat.at/pdf/Bericht-Naturforsch-Ges-Bamberg_81_0033-0040.pdf

Stark, C. et al. 2011: Strong genetic differentiation between Gymnadenia conopsea and G. densiflora despite morphological similarity. Plant Systematics and Evolution. 293(1): 213-226
researchgate.net

Hallo zusammen

Ein spannende Diskussion, die hier geführt wird. Seit mehr als 4 Jahren beschäftige ich mich mit dem (in der Schweiz bisher vernachlässigtem) Thema. Angefangen hat es schon früher mit einem Fund einer G. conopsea in Küttigen – ein Pracht-Exemplar, heute leider nicht mehr vorhanden, die Lebensdauer ist halt begrenzt.

Dem Kommentar von Muriel „schwierig“ möchte ich für uns Hobby-Botaniker hin zufügen: Es ist nahezu unmöglich en-passent die Arten auseinander zu halten. Ganz kurz stichwortartig meine Erfahrungen (mein Ziel für dieses Winterhalbjahr ist ein Beitrag in unserem AGEO-Magazin „Orchis 1/2024“).

Genetik: G. conopsea gibt es tetraploid und octaploid, G. densiflora nur tetraploid.

Dies bedeutet, dass G. conopsea eine sehr hohe Variabilität aufweist (Farbe der Blüten, Blühzeitpunkt, Höhe der Pflanzen, Anzahl der Blätter usw.). Vor allem der Blühzeitpunkt der octaploiden Variante fällt mit dem Blühzeitpunkt der G. densiflora zusammen – beide erst 2-3 Wochen nach der G. conopsea, wohl bemerkt im selben bzw. vergleichbaren Habitat. Übrigens verschiebt sich der Blühzeitpunkt um ca. 2 Tage pro 100 Höhenmeter (Details folgen im erwähnten Orchis-Artikel)

Aus meiner Literaturstudie habe ich geschlossen, dass sehr stattliche G. conopsea von schwachen Exemplaren der G. densiflora nicht mit den angegeben Kriterien unterscheidbar sind.

Bezüglich Geruch: Beide Arten riechen, aber die Wahrnehmung angenehm/unangenehm ist subjektiv. Auch über den Tag verändert sich der Geruch und meiner Ansicht nach auch durch die Wetterlage (feucht/kühl vs. heiss/trocken).

Bezüglich Farbe habe ich mit einer Farbkarte mit über 60 Farben im Feld versucht bei konstanter Beleuchtung (und das ist die Schwierigkeit) die Farbe (CMYK) zu erfassen – Schlussfolgerung die Variationsbreite ist immens. Die Angabe der Literatur G. densiflora wäre bläulicher wird man im Feld wohl auch nicht verwenden können.

Für mich gibt es zurzeit 2 klare Kriterien bzgl. Morphologie: Anzahl der Stängelblätter mehr als 3 und einer Breite des 2. Stängelblattes grösser als 20 mm. Wenn dann der Fundort noch eine Feuchtwiese ist, dann bin ich mutig und kartiere G. densiflora. Auf Magerrasen bin ich zurückhaltend, im Pfeifengras-Föhrenwald freue ich mich über einen schönen Fundort und gehe auf meinem Weg weiter.

Der Grund: Man muss den Pflanzen zu dicht auf die Pelle rücken und zertritt mit hoher Wahrscheinlichkeit die einblättrigen Jungpflanzen in unmittelbarer Umgebung bzw. verdichtet den Boden mit den nicht sichtbaren Keimlingen.

Für eine Bestimmung reicht es nicht nur die Infloreszenz anzuschauen, es braucht eine Fotodokumentation der gesamten Pflanze (Habitus, basale Blätter, Stängelblätter, Infloreszenz vollständig, Einzelblüte) sowie, wie oben erwähnt, eine Messung des 2. Stängelblattes.

Hallo zäme

Wenn ich in der Vergangenheit jeweils Gymnadenia sp. gefunden habe, war ich doch häufig erstaunt, dass die Unterschiede besonders bei den Blättern und der Grösse der Individuuen  prägnant sein können innerhalb einer Art.  Von var.densiflora höre ich hier zum ersten Mal…obwohl ich fleissiger Mitleser bin bei AGEO und auch einige neuer Printpublikationen zu den Orchideaceae gelesen habe (u.a. Wartmann, 3.Auflage 2020).

Wende ich auf meine diversen Fotodokumente die von ThUl genannten Kriterien an, fallen mir spontan zwei Beispiele ein, wo wohl var.densiflora angenommen werden kann (siehe meine Fotos). Im Falle Crémines 2018 handelt es sich um einen recht feuchten Hang, nördlich ausgerichtet, in einer Waldwiese. Im Lugnez fanden sich die gezeigten Exemplare an einem SE ausgerichteten Waldrand mit Schatten noch vor dem Mittag. Beides also eher feuchtere Biotope.

Ich werde in Zukunft gymnadenia noch etwas mit anderen Augen betrachten…hat sich doch in den letzten Jahren bei mir eher die Praxis eingeschlichen, diese nur noch oberflächlich zu betrachten, da es meist noch viel anderes. spannenderes zu haben scheint…

15.06.2020, Lumnezia GR (Lorenz Scherler)
15.06.2020, Lumnezia GR (Lorenz Scherler)
15.07.2018, Crémines BE (Lorenz Scherler)
15.07.2018, Crémines BE (Lorenz Scherler)
15.07.2018, Crémines BE (Lorenz Scherler)

Das wird ja spannend, Gym cono ist also nicht gleich Gym cono ..

Vielen Dank für die interessanten Rückmeldungen

Hallo zusammen

Wie in meinem Beitrag vom 21.11.23 angekündigt habe ich die historische Literatur sowie die aktuellen wissenschaftlichen Arbeiten zur G. densiflora/G. conopsea in einem Beitrag im ORCHIS (AGEO-Publikation https://ageo.ch/berichte/ORCHIS_1_2024_Gymnadenia_densiflora.pdf) zusammengefasst.

Bis zu einem feldtauglichen Bestimmungsschlüssel für die Populationen in der Schweiz (Vorkommen 230 bis 2690 m ü. M.) muss noch viel Erfahrung gesammelt werden. Die Kriterien, die ich nach dem Studium der Literaturstellen (auch viele, die im Bericht nicht erwähnt sind) habe, sind im Artikel strukturiert und als Basis definiert. Für Eilige „Kapitel 6 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen“.

Man lernt nie aus, daher noch ein Kommentar zum Satz im alten OpenFlora Beitrag: „Genetik: G. conopsea gibt es tetraploid und octaploid, G. densiflora nur tetraploid.“

Die Angabe tetraploid etc. bezieht sich auf den einfachen Chromosomensatz (4x, Bezug Geschlechtszelle), im Bericht beziehe ich mich auf den doppelten Chromosomensatz (2n, Zellkern) somit diploid und entsprechen tetraploid. Dies ist die häufigste Nomenklatur in den Arbeiten.

Im Beitrag ist eine neue E-Mail Adresse angegeben, unter der ich die Diskussion gerne führen möchte, der Aufwand für mich alle Beiträge zusammenzuhalten wäre somit einfacher. Aber auch In OpenFlora werde ich regelmässig nach euren Beiträgen schauen.

Das Ziel ist einen einigermassen gesicherten Bestimmungsschlüssel für die Populationen in den verschieden Regionen der Schweiz zu haben. Eines ist jetzt schon klar, es wird keine 100%ige Bestimmung geben. Wenn wir aber mit einer Sicherheit von 85 bis 90% die Arten auseinanderhalten könnten, wäre dies ein wesentlicher Beitrag.

Nur durch Zytologische Untersuchungen (Flow Cytometry siehe Kommentar unter https://www.openflora.ch/de/forum/flow-cytometry-durchflusszytometrie-bestimmen-des-ploidiegrades-1478.html ) oder genetische Untersuchungen können die Arten eindeutig unterschieden werden. Ob eine diese Methoden notwendig sein wird um die Zuordnungen zu belegen, ist für mich noch eine offene, aber wichtige Frage.

Viel Spass beim Lesen und auf Rückmeldungen, vor allem kritischer Art, freue ich mich jetzt schon. Nur so kommen wir in diesem Themenkreis G. conopsea s.l. weiter.

Thomas