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Was ist der Vorteil der vegetativen Vermehrung?

Alfons Schmidlin 19.07.2022

In meinem Naturgarten habe ich Allium oleraceum L. ist ja nichts besonderes. Er hat mich aber doch zum studieren gebracht. Weshalb macht er Blüten und Brutzwiebeln, ist ja klar das eine mal haben die Samen aus den Blüten bessere Chancen, das andere mal die Brutzwiebeln. Von einem Gärtner habe ich Etagenzwiebeln erhalten. Diese sollen gar keine Blüten machen und sich nur mit den Brutzwiebeln weiterverbreiten. Wie lange geht das gut, was hat die Natur für Vorteile wenn sie keine Blüten macht?

Allium oleraceum L. (Alfons Schmidlin)

7 Antworten

Gute Frage. Vorteilhaft an vegetativer Vermehrung ist, dass sie nicht von Befruchtung abhängig ist und somit auch in schlechten Sommern auf sicher klappt. Der Nachteil ist,  dass keine Neukombination von Genen und drum keine Evolution stattfindet. Allium oleraceum ist ein schönes Beispiel einer Pflanz, die auf beide Karten setzt.

Spannende Frage! Vegetative Vermehrung ist grad bei polyploiden Arten von Vorteil, damit sie - etwas plump ausgedrückt - bei der Reduktionsteilung das Chromosomen-Durcheinander umgehen können.

Ein Übersichtsartikel zu Polyploidie und vegetativer Vermehrung gibts z.B. hier:
Herben, T. et al. 2017: Polyploid species rely on vegetative reproduction more than diploids: a re-examination of the old hypothesis. Annals of Botany 120: 341–349
https://doi.org/10.1093/aob/mcx009 

Der Ross-Lauch (Allium oleraceum) ist polyploid mit verschiedenen Zytotypen (2n = 4x, 5x, 6x). Dazu gibts viel Literatur, z.B. hier:
Fialova, M. et al. 2014: Biology of the polyploid geophyte Allium oleraceum (Amaryllidaceae): Variation in size, sexual and asexual reproduction and germination within and between tetra-, penta- and hexaploid cytotypes. Flora 209: 312–324
http://dx.doi.org/10.1016/j.flora.2014.04.001

Bei Allium oleraceum produzieren wenige Blüten tatsächlich Samen; das reicht wohl, um die Hintertür offen zu halten und nicht nur auf vegetative Vermehrung zu setzen. Infos zum Samenansatz z.B. hier:
Karpavičienė B., Karanauskaitė D. 2010. Variation in reproductive modes of Allium oleraceum, A. scorodoprasum and A. vineale in field collection. Acta Biol. Univ. Daugavp., 10 (1): 1–9
https://docslib.org/doc/12926156/variation-in-reproductive-modes-of-allium-oleraceum-a 

Vielen Dank, das ist aber erst die erste hälfte meiner Frage. Wie geht es weiter mit Pflanzen die sich nur fegetativ vermehren. Stimmt das überhaupt was mir da dieser Gärtner gesagt hat. Giebt es noch andere Pflanzen die sich auf diese Vermehrung festgelegt haben?

Ich kenne die Antwort auf den zweiten Teil deiner Frage betreffend Etagenzwiebeln nicht - es ist nur eine generelle Vermutung:
Gewisse Pflanzen halten wohl lange mit vegetativer Vermehrung durch, da gibt es tolle Geschichten dazu, beispielsweise vom riesigen Pappel-Klon (Populus tremuloides) in Nordamerika oder vom Seegras-Klon (Posidonia australis) vor West Australien https://royalsocietypublishing.org/doi/10.1098/rspb.2022.0538 

Hallo Alfons,

Die Frage “was hat es für Vorteile" wird oft in Zusammenhang mit Evolution bzw. mit dem Auftreten gewisser Merkmale gestellt, sie kann aber auch irreführend sein. Dies weil sie suggeriert, dass alle Strategien, die die Evolution hervorgebracht hat (z.B. vegetative Vermehrung), irgend einen Vorteil haben müssen, da sie sonst nicht auftreten würden bzw. bereits von natürlicher Selektion eliminiert worden wären.

Mutationen (also Änderungen in der DNA-Sequenz eines Lebewesens) entstehen aber zufällig (spontan), z.B. hat mal ein Vorfahre deines Lauchs wegen einer oder wohl eher wegen einer Kombination mehrerer Mutationen Brutzwiebeln statt Blüten ausgebildet, oder eben Blüten und Brutzwiebeln. Offensichtlich war diese Veränderung für diesen Lauch nicht weiter schlimm, so dass er sich einfach vegetativ (und allenfalls auch sexuell) vermehrt hat und es heute in deinem Naturgarten weiter tut.

Eine Mutation bzw. Strategie wie vegetative Vermehrung kann zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort einen evolutionären Vorteil haben (z.B. wenn es irgendwo mal keinen Bestäuber hat), dieser Vorteil kann zu einer späteren Zeit und/oder an einem anderen Ort aber auch entfallen (z.B. wenn der Bestäuber wieder auftritt) oder sich in einen Nachteil umkehren (z.B. wenn sich das Habitat verändert und die Population sich ohne sexuelle Vermehrung bzw. Rekombination und natürliche Selektion nicht anpassen kann).

Ich kann mir vorstellen, dass tatsächlich bei vielen (oder den meisten?) Mutationen, die sich im Laufe der Evolution erhalten haben, solche neutrale Evolution eine Rolle gespielt hat. Oder die Vorteile (kein Bestäuber nötig, keine energieintensive Investition in reproduktive Organe nötig, keine Rekombination von Genen wenn man bereits gut angepasst ist, …) und Nachteile (keine Rekombination von Genen, wenn man nicht gut angepasst ist, …) von vegetativer Vermehrung haben sich über Ort und Zeit in Waage gehalten. 

Ein weiteres Beispiel einer Pflanze, die sich bei uns praktisch nur vegetativ vermehrt, ist Ophrys apifera. Ihr fehlt bei uns nämlich ein Bestäuber (Bienen, die sich von dieser Sexualtäuschblume verleiten lassen wurden vornehmlich im Mittelmeergebiet beobachtet). Ausserdem gibt es vegetative Vermehrung bei vielen Arten des Hochgebirges bzw. von arktischen Gebieten (z.B. Carex curvula, Poa alpina, Polygonum viviparum), möglicherweise weil dort Bestäuber selten sind (?), oder bei den taxonomisch schwierigen “Arten”, die Apomixis betreiben (Alchemilla, Rubus, …), oder auch bei vielen kultivierten Pflanzen (Bananen, …), wo man diese Eigenschaft zu kommerziellen Zwecken oft auch gezielt herausselektiert hat.

Hallo scrameri, ich stöbere immer mal wieder in openflora, das ich noch nicht lange kenne. Deshalb erst jetzt meine Antwort auf einen etwas älteren Beitrag von dir zum Thema “Was ist der Vorteil der vegetativen Vermehrung”. Deine allgemeinen Betrachtungen zur vegetativen Vermehrung finde ich sehr spannend, manche Überlegungen sind für mich neu, überzeugen mich jedoch. Aber mit einer Aussage bin ich nicht einverstanden “… eine Pflanze, die sich bei uns (=in der Schweiz?) praktisch nur vegetativ vermehrt, ist Ophrys apifera…” Worauf stützt du diese Aussage?

Ich schicke voraus: 1. ich weiss nichts über die Verhältnisse im Süden und 2. mir ist nicht bekannt, wie häufig oder wo oder wann hier in der Schweiz vegetative Vermehrung bei O. apifera vorkommt.

Tatsache ist: O. apifera ist eine autogame Pflanzenart, d. h. sie bestäubt sich selbst und produziert also auch Samen. Gerade wegen der Selbstbestäubung ist O. apifera meiner Erfahrung nach meist sehr viel besser bestäubt, d. h. sie bildet sehr viel mehr Samenkapseln aus als z. B. O. holosericea/fuciflora, die zur Bestäubung auf Insekten angewiesen ist. 

Ich stütze meine Aussage auf eigene Beobachtungen in der Schweiz und auf ageo.ch.

Ich bin gespannt auf deine Antwort. Liebe Grüsse  Maria

Vielen Dank an alle. Besonders an scrameri. Eine Überlegung müsste man auch noch überdenken. Es gibt bestimmt auch Mutationen die sich in Zukunft nicht durchsetzen können. Diese wurden vor kurzer Zeit gebildet und haben sich eine gewisse Zeit fortgesetzt. Sie werden aber wieder verschwinden wenn die Pflanze keine Vorteile mehr hat.