Morphologie

Generative Merkmale

  • Blüten

    • Blüten in einer endständigen Traube angeordnet.
    • Blüten zygomorph.
    • Kelchblätter 5, lanzettlich, rötlichbraun.
    • Kronblätter 5; rosa (selten weiss) mit dunklen Adern; am Grund plötzlich verschmälert (= genagelt); 4 Kronblätter nach oben gerichtet resp. seitlich abstehend, 1 Kronblatt nach unten gerichtet.
    • Fruchtknoten oberständig, aus 5 an der Basis miteinander verwachsenen Fruchtblättern bestehend.

    9.6.2016 (wolfgang bischoff)

    Caslano (TI), 13.5.2017 (wolfgang bischoff)

    Caslano (TI), 13.5.2017 (wolfgang bischoff)

  • Früchte

    • Spaltkapsel (= fünfteilige an der Basis verwachsene Fruchtblätter), die an Balgfrüchte erinnert.
    • Auf der Aussenseite behaart und mit dunklen Drüsen.

    Leere Spaltkapsel. Brigerbad (VS), 9.8.2021 (Muriel Bendel)

    Pai di Sotto, Lago di Garda (IT), 9.10.2024 (Muriel Bendel)

    Pai di Sotto, Lago di Garda (IT), 9.10.2024 (Muriel Bendel)

Vegetative Merkmale

  • Wuchsform, Stängel

    • Pflanze ausdauernd, vor allem im oberen Teil mit rötlichen, braunen bis schwarzen sitzenden Drüsen; ganze Pflanze aromatisch (zitronenähnlich) duftend.
    • Stängel krautig, nicht verholzt, ± dicht behaart.

    Caslano (TI), 13.5.2017 (wolfgang bischoff)

  • Blätter

    • Blätter wechselständig, kurz gestielt; sommergrün, etwas ledrig.
    • Blattspreite unpaarig gefiedert mit 7–9(–11) Fiedern; Fiedern breit lanzettlich, sitzend, drüsig punktiert, zerrieben angenehm duftend; Rand der Fiedern unregelmässig und stumpf gesägt.
    • Blattstiel und Rhachis (Blattspindel) sehr schmal geflügelt.

    Caslano (TI), 13.5.2017 (wolfgang bischoff)

    Brigerbad (VS), 9.8.2021 (Muriel Bendel)

    Blätter wechselständig, Blattspreite unpaarig gefiedert. Pai di Sotto, Lago di Garda (IT), 9.10.2024 (Muriel Bendel)

    Blattoberseite mit deutlichen, hellen Drüsen. Pai di Sotto, Lago di Garda (IT), 9.10.2024 (Muriel Bendel)

    Blattunterseite. Pai di Sotto, Lago di Garda (IT), 9.10.2024 (Muriel Bendel)

    Fieder; Rhachis (Blattspindel) sehr schmal geflügelt. Pai di Sotto, Lago di Garda (IT), 9.10.2024 (Muriel Bendel)

Name

Der italienische und der französische Name des Weissen Diptams (Dictamnus albus) bezieht sich auf die an Eschen (Fraxinus) erinnernden Blätter (Italienisch «frassinella», Französisch «fraxinelle»). 

Die angenehm aromatisch duftenden Blätter verhalfen dem Weissen Diptam auch zum italienischen Namen «limonella». 

Weiterführende Literatur

"HEGI", 1925: Illustrierte Flora von Mitteleuropa. Band V1, S. 75 ff.

Jäger, E.J., Johst, A., & Lorenz, H. 1997: Wuchsform und Lebensgeschichte von Dictamnus albus L. (Rutaceae). 1. Beitrag zur Wuchsform und Biologie der Gefäßpflanzen des hercynischen Raumes.  Hercynia, 30: 217-226
public.bibliothek.uni-halle.de

Partzsch, M. 2009: Populationsstruktur und Vergesellschaftung von Dictamnus albus L. in thermophilen Säumen des unteren Unstruttals (Sachsen-Anhalt). Tuexenia 29: 63–82
biologie.uni-halle.de

Verbreitung

Mediterran, west- bis zentralasiatisch.

Verbreitungskarte auf POWO.

Mögliche Verwechslung

Die jungen Triebe der Aufrechten Waldrebe (Clematis recta) sehen im Frühling auf den ersten Blick ähnlich aus (und wachsen teilweise auch am gleichen Standort wie der Weisse Diptam Dictamnus albus); die Blätter der Aufrechten Waldrebe (Clematis recta) sind aber gegenständig angeordnet, die Fiedern sind gestielt und ganzrandig, die Pflanze ist drüsenlos.

Autor*in: Muriel Bendel
Stand: 8. Februar 2024

Forum

Diskussionen der Community

der Diptam als Bogenschütze

Ballochorie meint die Ausbreitung von Pflanzensamen durch Wegschleudern:

https://de.wikipedia.org/wiki/Ballochorie

Was etwas trocken tönt, erlebte ich im Hochsommer hautnah am Beispiel des Diptam (Dictamnus albus): Ich las neben einer Diptam-Staude im BoGa Fryburg einige schwarzglänzende Samen zusammen, wobei ich ab und zu ein hohes Klicken hörte. Bald stellte sich heraus, dass die Kapseln gerade im Begriffe waren, ihre Samen abzuschleudern. Ich setzte mich in der Folge auf eine nahe Bank und stellte zu meiner grossen Verwunderung fest, dass auch vor dieser einzelne schwarze Samen ähnlich Apfelkernen im Kies lagen, obschon sie ca. 5 Meter von der nächsten Diptamstaude entfernt war!
Das hat meine Neugierde geweckt, dem Mechanismus nachzugehen, durch den diese erstaunliche ballistische Leistung erzielt wird. Das Ganze erwies sich indes als schwierig, da man eigentlich Zeitlupenaufnahmen machen müsste, um ihm auf die Schliche zu kommen. Zudem ist der Zeitpunkt des Abschleuderns nicht vorhersehbar. Hier, was ich herausfand:

Zum Erfassen der Ausgangslage verlasse ich mich gerne auf HEGI: Illustrierte Flora von Mitteleuropa (1925, Bd. V, 1  p. 75):

„Frucht kurzgestielt, eine in 5 Teilfrüchte zerfallende, runzelige, mit Drüsen und einfachen Haaren besetzte, etwa 1 cm lange Kapsel; Teilfrüchte zusammengedrückt, geschnäbelt, 2-klappig, bis fast an den Grund der Bauchnaht aufreissend; innere Schicht der Fruchtwandung (Mesokarp) elastisch abspringend. Samen birnförmig-kugelig, 4 mm lang, glänzend-schwarz, mit fleischigem Nährgewebe“.

und: M. PARTZSCH: Populationsstruktur und Vergesellschaftung von Dictamnus albus L. in thermophilen Säumen des unteren Unstruttals (Sachsen-Anhalt) (in: Tuexenia 29: 63–82. Göttingen 2009). Zit. p. 65

“Die Blüten bilden fünffächrige, sternförmige Kapseln mit relativ großen, schwarzen Samen aus (ROTHMALER et al. 2005). Die ballochoren Samen werden durch Turgoränderungen in den Früchten bis maximal 5 m von der Mutterpflanze weg geschleudert (PFEIFFER 1997)”. 


Was sich gut beobachten lässt, sind diese fünffächrigen Sammelbalgfrüchte, die auf der Aussenseite von einer Vielzahl von Drüsenhaaren bedeckt sind, wodurch sie einen sehr aromatischen, meiner Einschätzung nach zwischen Zimt und Orange liegenden Duft verströmen.
Die von Hegi erwähnten Mesokarpien fliegen kaum weit. Ich fand sie als spiralig zusammengerollte, helle und derbe Gebilde zahlreich zu Füssen der Pflanze, während die meisten Samen deutlich weiter von dieser wegbefördert wurden: 1 Meter, 2 Meter und bis zu 5 Meter, wie bereits erwähnt. Da diese Samen nicht gerade klein sind, erkannte ich sie leicht bei näherem Hinsehen im hellen Kies neben der Staude.
Man kann den Vorgang auch manipulativ auslösen, indem man mit zwei Fingern die Kapseln und anhaftenden Mesokarpien immer weiter auseinanderzieht, bis der Explosionsmechanismus (bei Stille auch zu hören) ausgelöst wird. Das geht aber nur bei ganz trockenen Kapseln, bei deren Schütteln die Samen im Innerem ein klapperndes Geräusch erzeugen.


Hypothese:
Durch fortschreitende Austrocknung mit entsprechender Turgoränderung öffnen sich diese Kapseln nicht schlagartig (wie ich zuerst dachte), sondern sehr langsam im Sinne einer fortschreitenden Dehiszenz. Dadurch wird das darin befindliche elastische Mesokarp weiter ausgetrocknet und unter Spannung gesetzt, wobei dies eine Torsionsspannung zu sein scheint. Ist diese gross genug, bricht es spontan mittig an einer Sollbruchstelle und fliegt in zwei Teilen sich zusammenrollend heraus, wobei die Samen mechanisch mitgerissen werden. Wahrscheinlich funktioniert das Ganze am Besten bei direkter Sonneneinstrahlung oder warmem Wind.


Zwischenbemerkung:
Das Weisse (Albedo) zwischen Schale und Fruchtfleisch ist bei einem anderen Rautengewächs wie der Orange wissenschaftlich gesehen ebenfalls das Mesokarp! Jedes ihrer Frucht-Segmente ist von einem dünnen Häutchen umgeben (=Endokarp), die ganze Frucht von einer zweigeteilten Schale. Die innere weisse Schicht dieser Schale ist das Mesokarp (Albedo), die äussere im reifen Zustand orange (=Exokarp, Flavedo).

Preisfrage: Was ist denn bei der Diptamfrucht das Endokarp?


Schlussfolgerung:
Mein Erklärungsversuch bleibt mit etwas Unsicherheit behaftet, zumal er sich wie erwähnt meiner direkten Beobachtung entzieht. Ich gebe zu: ich kombiniere, was sich (mit etwas unscharfer Terminologie) in der Literatur findet, mit dem, was ich beobachtet habe. Dabei komme ich bildlich gesprochen zu folgender Interpretation: das Öffnen der Kapseln entspricht dem allmählichen Spannen eines Pfeilbogens (=Exokarp). Die Sehne ist das Mesokarp, das dadurch elastisch gespannt wird. Wird der Pfeil (=Samen) schliesslich abgeschossen, entspannt sich die Sehne schlagartig und wirft so den Pfeil nach vorne (mutatis mutandis). Das Ergebnis ist auf jeden Fall erstaunlich. 

Um die Feinmechanik des Vorgangs und den genauen Abschusswinkel zu beschreiben, bräuchte es weitergehende Untersuchungen.


Gedankenspiel:
Ein mathematisch begabter Freund machte zu meiner Beobachtung folgende Bemerkung: „Mit Deinen spannenden Beobachtungen stellst Du mir noch ein Verbreitungsrätsel. 5 m Schleuderweite sind für eine Pflanze mit Samen ohne Flughilfe ja eine ganz schöne Leistung. Nun lag im Rhonetal vor gut 10'000 Jahren aber ja noch eine dicke Eisdecke. Ich rechne grosszügig mit 15'000 Jahren und 10 Metern im Folgenden. Das heisst: Auch wenn der Diptam richtig Gas gegeben hat bei der Wiederbesiedelung, dürfte sein Refugium während der Eiszeit maximal 150km entfernt gewesen sein, damit er heute dort wieder vorkommt. Und er wächst ja nicht gerade an der Eisgrenze… ".

Da verstumme ich nun definitiv (und endlich!), da ich keine Ahnung habe, wie der gute Diptam nacheiszeitlich aus seinen mediterranen (oder osteuropäischen?) Refugien via Genfersee über Martigny schön brav bis nach Brig hinauf eingewandert ist.

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