Morphologie

Generative Merkmale

  • Blüten

    • 5-zählig
    • Krone
      • Blütenfarbe: trübrot (trübpurpurn, rotviolett, weinrot), oft etwas ins Bräunliche kippend; von ziemlich dunkel (z.B. Bild 9) bis eher hell (z.B. Bild 1), laut Literatur auch oft weiss; Greimler & Jang 2003 schreiben, dass die Variation gross ist, aber die Farbe «trübpurpurn (weinrot)» scheinbar weitgehend auf G. engadinensis beschränkt ist.
      • Blütenform: laut Fotos eher glockenförmig (Bilder 1, 6)
      • Blütengrösse: eher kleinblütig: Blütenlänge 15–20 mm (kleiner als G. anisodonta: diese normalerweise > 20 mm – aber Achtung: Greimler et al. 2004 sagen: Die Kronenlänge stimmt bei anisodonta und engadinensis zu mehr als 75 % überein)
      • Länge der Kronzipfel: 5-10 mm (Info Flora: 6–7 mm), also relativ kurz im Verhältnis zur Kronröhre (Bilder 1, 4, 6, 8)
      • Länge der Kronröhre: nur 1.5–2 cm (Info Flora)

    • Kelch
      • Kelchbuchten: meist spitz (z.B. Bild 11, Nahaufnahme)
      • Kelchzipfel
      • Form: 2 Kelchzipfel viel breiter als die übrigen (=wie G. anisodonta), dreieckig-lanzettlich bis fast eiförmig, einander etwas überlappend (z.T. die inneren, schmaleren verdeckend) (Bilder 1, 4, 11). Am Rand umgerollt, spitz (Bilder 1, 4, 8). Grosse Variabilität! Meist bedeutend länger als die Kronzipfel.
      • Kelchzipfel 1.5–2.5-mal so lang wie die Kelchröhre (Bilder 1, 4, 8; die Fig. aus Flora Vegetativa ist m.E. nicht stimmig)
      • Länge: 6–7 mm (oft fast 2-mal so lang wie die Kelchröhre)
      • Rand: keine Illustration in Greimler et al. 2004, soll gleich wie G. anisodonta sein, also am Randlang-konische (dreieckige, kegelförmige) Papillen, die auch makroskopisch deutlich zu sehen sind (Bild 9; Details siehe Bilder 12, 13,14). Mittelnerv NICHT bewimpert (Bild 15)Die Form der Papillen sollte in der Mitte der Kelchzipfel analysiert werden, gegen die Spitze zu werden die Papillen kürzer (siehe Details bei G. anisodonta).

    Typische sehr niedrigwüchsige (gedrungene) Wuchsform. Man beachte die stark unterschiedlich breiten Kelchblattzipfel und die deutlich sichtbaren Papillen an deren Rand. Lückiger alpiner Rasen neben dem Wanderweg, Val S-charl, Unterengadin (GR), 2320 m. 8.8.2023 (Stefanie Jacomet)

    Typische sehr niedrigwüchsige (gedrungene) Pflanze mit Blüten. Lückiger alpiner, Val S-charl, Unterengadin (GR), 2340 m. 8.8.2023 (Stefanie Jacomet)

    Typische sehr niedrigwüchsige (gedrungene) Pflanze mit Blüten. Lückiger alpiner Rasen neben dem Wanderweg, Val S-charl, Unterengadin (GR), 2320 m. 8.8.2023 (Stefanie Jacomet)

    Mittelgrosse Pflanze; deutlich sichtbar sind die stark unterschiedlich breiten Kelchblattzipfel und die eiförmigen, sitzenden, spitzen Blätter. Val S-charl, Unterengadin (GR), 2014 m. 8.8.2023 (Stefanie Jacomet)

    Eher grössere Pflanze an einem rasigen Wegbord, unter Lärchen (Schattenform!). Man beachte die Blattform sowie die Papillen am Rand der Kelchblattzipfel. Val S-charl, Unterengadin (GR), 1773 m. 8.8.2023 (Stefanie Jacomet)

    Eher grössere Pflanze an einem rasigen Wegbord, unter Lärchen (Schattenform!), Val S-charl, Unterengadin (GR), 1773 m. 8.8.2023 (Stefanie Jacomet)

    Eher grössere Pflanze mit Knospen. Man beachte die stark unterschiedlich breiten Kelchblattzipfel, die Papillen am Rand der Kelchblattzipfel und die Blattform. Von Lärchen überschattet, Val S-charl, Unterengadin (GR), 1880 m. 15.8.2023 (Stefanie Jacomet)

    Typische, kleine, gedrungene Pflanze, mit typischer Form der Kelchblattzipfel, den ausgeprägten Papillen an deren Rand sowie der typischen Blattform. Lückiger alpiner Rasen, Val S-charl, Unterengadin (GR), 2340 m. 8.8.2023 (Stefanie Jacomet)

    Typische, stark unterschiedliche Form der Kelchblattzipfel mit den ausgeprägten Papillen. An einem rasigen Wegbord, unter Lärchen, Val S-charl, Unterengadin (GR), 1773 m. 8.8.2023 (Stefanie Jacomet)

    Kelch einer herbarisierten Pflanze: Deutlich zu erkennen sind die beiden breiten und die drei schmaleren Kelchblattzipfel. Von Lärchen überschattet, Val S-charl, Unterengadin (GR), 1880 m. 15.8.2023 (Stefanie Jacomet)

    Spitze Kelchbucht (Detail), von einer Pflanze in der Nähe des Weges zur Alp Tavrü, von Lärchen überschattet, Val S-charl, Unterengadin (GR), 1880 m. Foto S. Jacomet, 15.8.2023 (Stefanie Jacomet)

    Kelchblattzipfel und lang-konische (dreieckige) Papillen an deren Rand. Von einer Pflanze in der Nähe des Weges zur Alp Tavrü, von Lärchen überschattet, Val S-charl, Unterengadin (GR), 1880 m. 15.8.2023 (Stefanie Jacomet)

    Detailaufnahme der lang-konischen Papillen am Rand der umgerollten Kelchblattzipfel. Von einer Pflanze in der Nähe des Weges zur Alp Tavrü, von Lärchen überschattet, Val S-charl, Unterengadin (GR), 1880 m. 15.8.2023 (Stefanie Jacomet)

    Detailaufnahme der lang-konischen Papillen am Rand der umgerollten Kelchblattzipfel. Von einer Pflanze in der Nähe des Weges zur Alp Tavrü, von Lärchen überschattet, Val S-charl, Unterengadin (GR), 1880 m. 15.8.2023 (Stefanie Jacomet)

    Detailaufnahme der lang-konischen Papillen am Rand eines umgerollten Kelchblattzipfels. Von einer Pflanze in der Nähe des Weges zur Alp Tavrü, von Lärchen überschattet, Val S-charl, Unterengadin (GR), 1880 m. 15.8.2023 (Stefanie Jacomet)

  • Früchte

    • Fruchtknoten sitzend oder sehr kurz gestielt, also sehr kurzes Gynophor (Bilder 16–19). Gemäss Flora von Österreich: 0–3 mm; Info Flora: max. 1 mm.
    • Im Allg. sollte das Gynophor bei G. engadinensis (wie auch bei G. amarella) fehlend bis sehr kurz sein, aber Greimler et al. 2004 führen aus, dass eine hohe Variationsbreite bei der Länge des Gynophors vorliegen kann!

    Beispiel eines kurz gestielten Fruchtknotens (= eines sehr kurzen Gynophors). Von einer Pflanze in der Nähe des Weges zur Alp Tavrü, von Lärchen überschattet, Val S-charl, Unterengadin (GR), 1880 m. 15.8.2023 (Stefanie Jacomet)

    Beispiel eines ungestielten Fruchtknotens (= kein Gynophor ). Von einer Pflanze in der Nähe des Weges zur Alp Tavrü, von Lärchen überschattet, Val S-charl, Unterengadin (GR), 1880 m. 15.8.2023 (Stefanie Jacomet)

    Beispiel eines praktisch ungestielten Fruchtknotens (= kein Gynophor ). Von einer Pflanze in der Nähe des Weges zur Alp Tavrü, von Lärchen überschattet, Val S-charl, Unterengadin (GR), 1880 m. 15.8.2023 (Stefanie Jacomet)

    Beispiel eines sehr kurz gestielten Fruchtknotens (= eines sehr kurzen Gynophors). Von einer Pflanze in der Nähe des Weges zur Alp Tavrü, von Lärchen überschattet, Val S-charl, Unterengadin (GR), 1880 m. 15.8.2023 (Stefanie Jacomet)

Vegetative Merkmale

  • Wuchsform, Stängel

    • Lebensform: Monokarper Hemikryptophyt, Therophyt (Info Flora): 2-jährig (Greimler & Jang 2003)
    • Pflanze vom Grund an verzweigt; ästig-kompakt (Bilder 1–3).
    • Stängel
      • Höhe: Pflanze meist SEHR NIEDRIG (meist < 8 cm: 3–10 cm), im allg. kleiner als G. anisodonta (Bilder 1–3). Bilder 5-7 zeigen eine im Schatten gewachsene, etwas höhere Pflanze: hier könnte es sich auch um G. anisodonta handeln; das anstehende Gestein im Gebiet war Hangschutt, der sowohl silikatische, als auch kalkreiche Elemente enthielt; siehe unten, Standort).
  • Blätter

    • Kreuz-gegenständig (dekussiert: gut zu sehen auf Bild 7); mittlere Stängelblätter mindestens 3-mal so lang wie breit, Blattrand kahl, papillös. 

Lebensraum

Standort gemäss Literatur und eigenen Beobachtungen: (subalpin-)alpin, Gebirgs-Magerrasen, Seslerion, Caricion firmae, über kalkreicher Unterlage (siehe auch Greimler et al. 2011).

Verbreitung

Geographie: südalpine Art (Info Flora). Eine gute Verbreitungskarte findet sich in Greimler et al. 2011, S. 429). Im gleichen Paper steht zur geographischen Verbreitung (übersetzt SJ): «Gentianella engadinensis kommt in einem größeren Gebiet im Schweizer Engadin und in den südlichen Kalkalpen Italiens vom Ortlergebirge bis zu den Dolomiten vor, und ist dort endemisch; dieses Areal liegt größtenteils innerhalb des südwestlichen Verbreitungsgebiets von G. anisodonta

Blütezeit

Ab Juli, eher später

Systematik & Taxonomie

Nach Jang et al. 2005, Greimler & Till 2012 sowie Greimler et al. 2011: Aufgrund von genetischen Studien ist es sehr wahrscheinlich, dass G. engadinensis keine eigene Art darstellt – sie ist genetisch sehr eng mit G. anisodonta verwandt. Deshalb schlagen die Autor*innen vor, sie in ein «Aggregat Gentiana anisodonta» zu stellen. G. engadinensis ist gemäss den Studien eine morphologisch wenig differenzierte Variante von G. anisodonta, mit kleineren und (dunkel-)rötlicheren Blüten sowie fast sitzenden Fruchtknoten. G. engadinensis stammt wahrscheinlich von einer peripheren Form von G. anisodonta an der Grenze ihres westlichen Verbreitungsgebiets ab. Damit könnte sie ein Beispiel für eine peripatrische Speziation am Rand des Verbreitungsgebiets von G. anisodonta mit anschliessender Ausbreitung sein. Diese Verbreitungen kamen in erster Linie während der Eiszeiten Quartärs zustande (Stichwort Glazialrefugien).

Literatur, websites

Für Beschreibungen konsultierte websites:

infoflora.ch


Konsultierte Literatur: 

Eggenberg, S., Bornand, C., Juillerat, P., Jutzi, M., Möhl, A., Nyffeler, R. und Santiago, H. (2022) Flora Helvetica: Exkursionsflora, 2. Auflage.  Bern.

Eggenberg, S. und Möhl, A. (2007) Flora Vegetativa. Ein Bestimmungsbuch für Pflanzen der Schweiz im Blütenlosen Zustand. Haupt Verlag, Bern.

Fischer, M. A., Oswald, K. und Adler, W. (2008) Exkursionsflora für Österreich, Liechtenstein und Südtirol. 3. Auflage. Linz.
zobodat.at

Greimler, J. und Jang, C.-G. (2003) Gentianella sect. Gentianella (Gentianaceae) in den Ostalpen. Mit einem illustrierten Bestimmungsschlüssel. Neilreichia 2–3, 209–234.
zobodat.at

Greimler, J., Hermanovski, B. und Jang, C.-G. (2004) A re-evaluation of morphological characters in European Gentianella section Gentianella (Gentianaceae). Plant Systematics and Evolution 248, 143–169.
DOI: 10.1007/s00606-004-0171-x
researchgate.net

Greimler, J., Park, J.-M. und Schneeweiss, H. (2011) Gentianella (Gentianaceae): A model taxon for evolution in the Alps. Taxon 60/2, 427–435.
DOI: 10.1002/tax.602012
researchgate.net

Greimler, J. und Till, W. (2012) Gentianella insubrica and G. germanica s.l. (Gentianaceae) in the western Alps. Annalen des Naturhistorischen Museums in Wien, Serie B 113, 109–117.
zobodat.at

Jang, C.-G., Müllner, A. N. und Greimler, J. (2005) Conflicting patterns of genetic and morphological variation in European Gentianella section Gentianella. Botanical Journal of the Linnean Society 148, 175–187.
doi:10.1111/j.1095-8339.2005.00406.x
sci-hub.ru

Lenzin, H. und Heitz, A. (2022) Binz - Schul- und Exkursionsflora für die Schweiz, mit Berücksichtigung einiger Grenzgebiete. 20. Auflage. Basel.

Autor*in: Stefanie Jacomet
Stand: 3. September 2025